Normative Welten – Kölner Diskurse zum Rechtspluralismus

In ausdifferenzierten modernen Gesellschaften ist die rechtspositivistische Vorstellung einer einheitlichen, integrativen Rechtsordnung zunehmend unter Druck geraten. Der globale, nationale und lokale Rechtsraum erleben eine Re-Naissance des Rechtspluralismus. Die Anerkennung pluraler normativer Geltungsansprüche verschiebt eine Kernaufgabe des Rechts im 21. Jahrhundert von der Konstruktion von Einheit hin zum Umgang mit Differenz und normativen Kollisionen.

Zu den frühen rechtspluralistischen Ansätzen der Postkolonialzeit tritt heute unter Bedingungen zunehmender De-Nationalisierung das Theoriefeld des „global legal pluralism“. Auch im nationalen Kontext wird der Umfang der Selbstgesetzgebung und der Eigennormativität sozialer Gemeinschaften etwa am Beispiel der Kirche oder der Hochschulen diskutiert. Die methodischen Konturen eines rechtspluralistischen Programms hingegen gilt es weiter auszugestalten. Wie kann sich eine normative Ordnung als stabil erweisen, die beständig durch andere Ordnungen infrage gestellt wird? Anhand welcher Maßstäbe vermag ein staatlicher Richter Normkollisionen ohne die Möglichkeit des Rückgriffs auf abstrakte Vorrangrelation zu lösen? Welche Bedeutung hat eine Interaktion nationaler und internationaler Gerichte für das Verhältnis der jeweiligen Rechtsregime untereinander?

Der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie möchte vor diesem Hintergrund in einer neuen Veranstaltungsreihe – den „Kölner Diskursen zum Rechtspluralismus“ – ein Forum für Kasuistik, Methode und Theorie pluralistischen Rechtsdenkens schaffen. Die „Diskurse“ werden in zwei Formaten geführt, die Rechtswirklichkeit erfahrbar machen und eine Einschätzung und Kritik des Rechts fundieren möchten.

Im Rahmen der „Gespräche“ stellen Wissenschaftler und Rollenträger sozialer Funktionsbereiche ihre jeweiligen Perspektiven auf einen juristischen Fall oder ein Urteil gegenüber. Die pluralistische Dimension der Fragestellung soll sich so unmittelbar im Format widerspiegeln.

Daneben erhalten Studierende in „Exkursionen“ die Möglichkeit, ihr Rechtsdenken in der Konfrontation mit konkreten rechtlichen Ordnungen (etwa eines Unternehmens, einer Behörde oder eines Vereins oder Rechtsdarstellungen in Kunst und Kultur) auf die Probe zu stellen.

Im Laufe der Veranstaltungsreihe sollen Besuche in lokalen und größeren Unternehmen, öffentlichen Institutionen, Gerichten ebenso wie in Ausstellungen und zu gesellschaftlichen Anlässen stattfinden. Daneben sollen auch zivilgesellschaftliche Akteure des transnationalen Rechts, etwa NGOs des Menschenrechts- oder Naturschutzes oder der digitalen Gesellschaft einbezogen werden. Vorschläge und eine Mitgestaltung von studentischer Seite sind dabei sehr willkommen.

Aktuelle Veranstaltung

Bisherige Veranstaltungen

Podiumsgespräch zu Google

Was 1998 in einer Garage in Kalifornien begann, hat sich zu dem globalen Medienkonzern „Google” entwickelt, der neben der Suchmaschine über eine Vielzahl von zunehmend verschränkten Funktionalitäten die Topographie des Internets prägt. Entsprechend fragmentiert sind auch die Rechtsregimes, die Google umgeben. Nicht nur haben nationale und internationale Gerichte in teils divergierenden Entscheidungen zahlreiche Einzelfragen entschieden, zugleich wirkt Google als globaler Rechtsakteur über unternehmenseigene Regeln selbst an der Ausgestaltung dieser Rechtsregimes mit.

In Zusammenarbeit zwischen dem Kölner Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie und dem Frankfurter Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien fand am 21. Januar 2016 um 18.00 Uhr auf dem Campus Westend der Goethe Universität eine Podiumsdiskussion mit dem Thema „Google und das Urheberrecht” statt. Nach einem Begrüßungswort durch Prof. Dr. Thomas Vesting diskutierten unter Moderation von Prof. Dr. Dan Wielsch mit dem Publikum

Dr. Arnd Haller, Leiter der Rechtsabteilung von Google Germany,
Prof. Dr. Leonhard Dobusch, Freie Universität Berlin, sowie
Prof. Dr. Michael Grünberger, LL.M. (NYU), Universität Bayreuth.

Das Google Books-Projekt nahm eine zentrale Stellung während der Diskussion ein, insbesondere wurde der diesbezügliche Rechtsstreit zwischen Authors Guild u.a. und Google thematisiert. Mit der für Google günstigen Entscheidung des U.S. Court of Appeals for the Second Circuit ist die Reichweite der US-amerikanischen Fair Use-Regelung nochmals deutlich geworden. Dies gilt umso mehr, nachdem sich der U.S. Supreme Court im April 2016 dafür entschieden hat, den Fall nicht zu hören, wodurch die zweitinstanzliche Entscheidung bestehen bleibt. Neben einem „Urheberrechtsextremismus“ (Dobusch), der durch den Lobbyismus von Seiten der Rechteinhaber befeuert wird, stand zur Debatte, inwieweit das Digitalisieren und öffentliche Zugänglichmachen von Werken gerade in Übereinstimmung mit dem Willen der Urheber geschieht. Mit Blick in die Zukunft wurde dabei ein an die Umwelt angepasstes Urheberrecht diskutiert, mithilfe dessen die relevanten subjektiven Rechte funktionssystematisch beschränkt werden.

Besuch des „Kaufmanns von Venedig“

015_DIN_A2_Rechtspluralismus„Is that the law?“ lässt Shakespeare den rechtssuchenden Shylock in der Gerichtsszene seines „Kaufmanns von Venedig“ ungläubig fragen. Er pocht auf seinen Anspruch, als Pfand für einen nicht zurückgezahlten Kredit „ein Pfund Fleisch“ aus dem Körper des Antonio schneiden zu dürfen, wie beide eher scherzhaft vereinbart hatten. Ob das unerbittliche positive Recht zur Durchsetzung gelangen kann oder die Billigkeit Korrekturen verlangt ist nur eine von zahlreichen, auch aktuellen juristischen Grundsatzfragen, die das Stück auf die Bühne bringt und es zur Inspiration eines ganzen Forschungsfelds von „law and literature“ haben werden lassen.

Im Rahmen der Reihe „Normative Welten“ lud der Lehrstuhl daher ein zum Besuch einer viel besprochenen Aufführung des „Kaufmanns von Venedig“ am Donnerstag, 14.5.2015 im Schauspiel Köln. Die Regie im Depot 2 führte Intendant Stefan Bachmann.

Nähere Informationen zur Aufführung erhalten Sie hier.

Investitionsschutz im TTIP

TTIP_Plakat_small_hp

Im Zuge der Debatte über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) ist ein Mechanismus erstmals öffentlich auf den Prüfstand gekommen, der über Jahrzehnte die Praxis von Auslandsdirektinvestitionen bestimmt. Die Grundstruktur der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit entstand vor der Folie entwicklungspolitischer Leitideen und einer Weltwirtschaftsordnung, die sich seitdem wesentlich gewandelt haben. Folgt daraus ein Reformdruck, dem innerhalb des derzeitigen Rahmens entsprochen werden kann?

Unter dem Titel „Wer soll’s richten? Perspektiven des Investitionsschutzes im TTIP-Freihandelsabkommen“ fragte daher der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie im Rahmen der Reihe „Normative Welten“ danach, ob und ggf. in welcher Gestalt Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ein zukunftsweisendes Verfahren internationaler Konfliktlösung bietet, das auch im TTIP aufgenommen werden sollte.

In einem namhaft besetzten Podiumsgespräch unter Moderation von Prof. Dr. Dan Wielsch am 11.12.2014 um 19.30 Uhr in der Aula 2 im Hauptgebäude diskutierten mit dem Publikum

Podium-komplett-bearbEingangs wurden die wirtschafts- und justizpolitischen Grundannahmen diskutiert, auf die sich ein eigenständiges Rechtsschutzsystem für Auslandsinvestitionen stützt. Welche Besonderheiten gelten insofern im Verhältnis rechtsstaatlicher Industrienationen zueinander und wie wird dem in den Vertragsentwürfen zu CETA und TTIP Rechnung getragen? Innerhalb einer an Phänomenen des Rechtspluralismus interessierten Reihe wurde besonderes Augenmerk der Frage geschenkt, ob Investitionsschiedsgerichtsbarkeit rechtliche Parallelregimes entstehen lässt, in denen Belange des Gemeinwohls und Prinzipien anderer völkerrechtlicher Teilordnungen strukturell kaum erücksichtigung finden (können). Hat sich in der Schiedspraxis ein kleiner Kreis von Berufsträgern verselbständigt, der nun durch Präjudizienorientierung den Staaten die Rolle als „Herren der Verträge“ streitig macht? Liegen Perspektiven einer demokratischen Ausgestaltung der Investitionsschiedspraxis gerade im Vertrauen auf autonome Prinzipienbildung (in der Tradition der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit) oder ist ein Umdenken auf einen öffentlich-rechtlichen Analyserahmen (in der Tradition zwischenstaatlicher Konfliktlösung) erforderlich?

Der Natterer GmbH, Esslingen, gilt herzlicher Dank für die Fotografie der Roben.

Podiumsgespräch Datenschutz

Plakat_Datenschutz_hp_small Daten avancieren zur Währung der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts und bilden eine Machtressource, um die Staaten und private Akteure gleichermaßen konkurrieren. Spätestens im Zuge der NSA-Affäre ist die Debatte um ein zukunftsweisendes Datenschutzkonzept an eine Weichenstellung gelangt. Wenn im Internet und an der Supermarktkasse unbekümmert über Aufenthaltsort, Freundeskreis und Konsumvorlieben Auskunft gegeben wird, erscheint eine persönlichkeitsrechtliche Anknüpfung zunehmend problematisch. Gleichzeitig fehlt übergreifenden Ansätzen jenseits des Staates ein transnational effektives Instrumentarium.

Unter dem Titel „Ich habe nichts zu verbergen. Datenschutz zwischen privater und öffentlicher Verantwortung“ fragte der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie im Rahmen der Reihe „Normative Welten“ nach der Reichweite von Verantwortungssphären von Individuum, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Umgang mit Datenmacht.

In einem Podiumsgespräch zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft unter Moderation von Prof. Dr. Dan Wielsch am 10.7.2014 um 19.30 Uhr in Hörsaal II im Hauptgebäude diskutierten mit dem Publikum

IMG_3215 bearbeitetEin Themenschwerpunkt war dabei, welche Vorstellungen von „Privatheit“ den sehr verschiedenen derzeit verfolgten rechtlichen Ansätzen – von der Datenschutz-GrundVO über die EuGH-Rechtsprechung zum „Recht auf Vergessenwerden“ bis zu strategischer Prozessführung von europe-v-facebook.org – zugrunde liegen. Wie weit trägt „Privatheit“ als liberales normatives Ideal, wenn staatliche und private Entscheidungen auf größerer Datengrundlage durchaus gesellschaftliche Vorteile schaffen können und dem Einzelnen neue Möglichkeiten der Ausübung seiner Persönlichkeit eröffnen? Liegen Grenzen dann in oligopolistischen Strukturen etwa privater Internetdienste, denen gegenüber das Wettbewerbsrecht zu mobilisieren ist? Ist mit den Datenskandalen gar die Entwicklung des Internets an einen Wendepunkt gelangt, der eine Zuspitzung der Kritik am Medium selbst erwarten lässt?

Diskussion bei Fairtrade International

Besuch FairtradeUnter defairtrader Frage “Private Standards als globales Recht?” luden der Lehrstuhl und Fairtrade International alle interessierten StudentInnen zu einer Diskussion über rechtliche Aspekte der Fairtrade-Zertifizierung ein. Das Gespräch fand am 11.7.2013 in Bonn in der Zentrale von Fairtrade International, der weltweiten Dachorganisation für Fairtrade-Siegelorganisationen, statt.

Ob Sweatshops in Bangladesh, Kinderarbeit auf Baumwollplantagen in Burkina Faso oder Tageslöhne von $ 1,60 als Kaffeepflücker in Nicaragua: Die Missstände globaler Produktionsketten haben die strukturelle Eignung nationalen und internationalen Rechts zur Sicherung gerechter Arbeits- und Umweltbedingungen in Produktionsländern zunehmend in Zweifel gezogen. Demgegenüber haben sich private Standards als ein innovatives Instrument der Regulierung von Warenabsatzketten erwiesen, dessen rechtliche Wirkung es zu untersuchen lohnt:

Wie werden Fairtrade-Standards entwickelt? In welchen Verfahren wird ihre Einhaltung kontrolliert, wer entscheidet im Streitfalle? Welche Instrumente bietet nationales Recht etwa im Kauf- und Werberecht, um auf Standard-Verletzungen zu reagieren? Kann die öffentliche Hand im Vergaberecht die Einhaltung von Fairtrade-Standards verlangen?

Die Veranstaltung begann am 11.7.2013 mit einer Einführung durch Prof. Wielsch. Anschließend erfolgte eine Diskussion bei Fairtrade in Bonn.

Podiumsdiskussion zur Beschneidung

Beschneidung_klein Die durch das Urteil des Kölner LG vom 7. Mai 2012 ventilierte gesellschaftliche Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit der rituellen Beschneidung begleitet auch die laufenden parlamentarischen Bemühungen um eine gesetzliche Lösung. Nicht nur deren genaue Gestalt, auch die viel grundlegendere Vorfrage der rechtspolitischen Zweckmäßigkeit eines solchen Erlaubnisgesetzes bleiben umstritten. Es gibt nicht eine Beschneidungsdebatte, vielmehr besteht eine Mehrzahl von Kontroversen innerhalb betroffener Gruppierungen bzw. Systeme: innerhalb der (Rechts-) Wissenschaft, der Medizin, der Politik, der Religion und der Medien.

Der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie fragte im Rahmen der Reihe Normative WeltenKölner Diskurse zum Rechtspluralismus“ nach der Deutungshoheit über das „Kindeswohl“ in der Grundrechtskollision im pluralistischen Verfassungsstaat.

Anlässlich einer namhaft besetzten Podiumsdiskussion unter Moderation von Prof. Dr. Dan Wielsch

am 6.12.2012 um 19.30 Uhr in Hörsaal II im Hauptgebäude

diskutierten mit dem Publikum:Beschneidung_kl

Dabei wurde die (rechts-)pluralistische Dimension der aktuellen Debatte in den Vordergrund gerückt: Welche Offenheit besitzt das Gemeinwesen des Grundgesetzes gegenüber pluralistischen Normativitäten innerhalb betroffener Religionsgemeinschaften und Familien? Inwieweit privilegiert die Religionsfreiheit des Grundgesetzes eine rituelle (und damit möglicherweise nicht zweck-rationale) gegenüber einer rein ästhetisch motivierten Beschneidung? Die Diskussion hinterfragte, ob eine Öffnung des staatlichen Rechts gegenüber gesellschaftlichen Normen im Fall der Beschneidung mit Blick auf die kollidierenden Güter wünschenswert ist und wie die vorgelegten Gesetzesentwürfe vor diesem Hintergrund zu bewerten sind. Vor einer breiten Hochschulöffentlichkeit und interessierten Bürgerinnen und Bürgern fand die Deutungshoheit über das „Kindeswohl“ im pluralistischen Verfassungsstaat besondere Beachtung.

Wenige Tage nach der Podiumsdiskussion wurde die Zulässigkeit ritueller Beschneidungen im neugeschaffenen § 1631 d BGB gesetzlich abgesichert.

Die Veranstaltung ist in einem zweiteiligen Beitrag bei DRadio Wissen in der Sendung „Hörsaal“ übertragen worden. Daneben erschien ein Bericht im Fakultätsspiegel.

Verbrecher1

Exkursion zum lebenden Recht: Theaterbesuch

Der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtstheorie möchte in einer neuen Veranstaltungsreihe – den „Exkursionen zum lebenden Recht“ – Studierenden die Möglichkeit geben, ihr Rechtsdenken in der Konfrontation mit konkreten rechtlichen Ordnungen(etwa eines Unternehmens, einer Behörde oder eines Vereins oder Rechtsdarstellungen in Kunst und Kultur) auf die Probe zu stellen.

Den Anfang machte am 22. Juni 2012 um 20 Uhr der Besuch des Stückes „Der Verbrecher“ im Theater „Der Keller“,  das als moderne Adaption nach Friedrich Schillers „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ auch Bezüge zu Kernbegriffen der Grundlagenvorlesungen aufweist. Es bestand Gelegenheit zum Vorgespräch mit der Dramaturgin und dem Regisseur des Stückes.

 

Foto: (c) Werner Meyer, Meyer Originals