Grundrechte im Privatrecht2018-03-24T18:57:28+00:00

Die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten bei Facebook Account-Sperren und Stadionverboten

A. Einführung

Der Drittwirkung von Grundrechten in privaten Rechtsbeziehungen kommt eine gesteigerte Bedeutung nicht nur in dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zu bundesweiten Stadionverboten zu, sondern auch bzgl. der Zulässigkeit von Kommentar-Löschungen und Account-Sperrungen bei Facebook. In diesen Fällen stellt sich die Frage nach der Berücksichtigung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bei an sich rein zivilrechtlichen Streitigkeiten.

B. Fallkonstellationen

Die Besonderheit und das Novum der Fallkonstellationen wurzelt in der Veränderung der Kommunikationskultur, welche besonders das Privatrecht vor neue Herausforderungen stellt. Die Abkehr von linear verbreiteten Inhalten durch Rundfunk und Presse und der Aufstieg der Kommunikation via Internet, stellt das Privatrecht in den Fokus von Regulierungsbestrebungen. Soziale Medien und Plattformen sind privatrechtlich organisiert und stehen mit den Nutzern in einem Vertragsverhältnis. Jedoch entfalten sie durch ihre soziale Relevanz eine neue Form der Öffentlichkeit[1] Der Meinungsbildungsprozess wird auf einen an sich privaten virtuellen Raum verlagert, welcher aufgrund mangelnder Beschränkungen[2] jedoch öffentlich zugänglich ist. Es handelt sich somit um hybride halb private, halb öffentliche Kommunikationsformen.[3] Einen besonderen Umstand bildet die Stellung des Intermediär. Soziale Plattformen wie etwa Facebook nehmen eine rein vermittelnde Position für nutzergenerierte Inhalte[4] ein und machen sich Äußerungen der Nutzer nicht zu eigen. Das Äußerungsrecht insgesamt hat sich damit einem strukturellen Wandel unterzogen. Klassischerweise ging in der Vergangenheit der in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Verletzte gegen den Verletzenden direkt vor. Zudem fiel die Rolle des Verletzenden mit der des Äußernden zusammen. Aufgrund der Ubiquität des Internets und der erschwerten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit fällt diese Vorgehensweise oft schwer. Mit diesem gesellschaftlichen Wandel gingen neue äußerungsrechtliche Haftungskonzepte einher: Klagen richteten sich aufgrund der Anonymität des Verletzenden sowie der viralen Verbreitungsformen vermehrt gegen den greifbaren Intermediär selbst. Die Rechtsfigur der Störerhaftung wurde in dieser Beziehung in zivilrechtlichen Verfahren auf Dritte, den Intermediär, ausgeweitet.[5] Die interne Selbstregulierung wurde angeregt und u.a. durch das Google-Spain Urteil des EuGH[6] oder das Netzwerkdurchsetzungsgesetz intensiviert. Die Folge: Die Entscheidung auf Grundlage der – im Wege der Selbstregulierung aufgestellten – Regelwerke der Intermediäre wird einer national gerichtlichen Überprüfung unterzogen. Eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Rechtsfragen sind nicht höchstrichterlich entschieden. Dies betrifft u.a. die Frage nach […]

Von |14.12.2018|Kategorien: Grundrechteblog, Grundrechteblog_Aktuell|

Analyse des Urteils BGH v. 07.06.2016 – Az. KZR 6/15 – Pechstein/International Skating Union

1. Einleitung

In dem Urteil des BGH vom 7. Juni 2016 – Az. KZR 6/15 (= openJur 2016, 7218) setzt sich das Gericht mit einem Schiedsspruch des Court of Arbitration for Sport (CAS) gegen die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auseinander. Das Urteil des BGH wirft interessante Fragen auf, bei denen die Wirkung von Grundrechten im Privatrecht besonders deutlich wird. So musste sich das Gericht damit auseinandersetzen, unter welchen Umständen ein vertraglich zustande gekommener Ausschluss des Justizgewährungsanspruches wirksam ist. Ist hierbei die Fremdbestimmung des einen Vertragspartners durch einen monopolinnehabenden anderen Vertragspartner im Interesse eines international funktionsfähigen Sportwettbewerbs hinzunehmen? Mit welchen Hintergrundannahmen und mit welchen Maßstäben wird operiert, wenn zwingende Normen des Kartellrechts und zivilprozessuale Vorschriften im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden? In diesem Beitrag soll angeregt werden, zur Beantwortung dieser Fragen die transnationale Dimension des Sachverhalts in zweierlei Hinsicht zu berücksichtigen. In transnationalen Sachverhaltskonstellationen scheint, erstens, nicht mehr das Paradigma der mittelbaren Drittwirkung – im Sinne von klar abgrenzbaren, miteinander kollidierenden Grundrechtspositionen (Privatakteur vs. Privatakteur) – ausschlaggebend. Wie im konkreten Fall besonders deutlich wird, kollidieren vielmehr komplexe, fragmentierte und anonymisierte Prozesse mit Grundrechtspositionen von denjenigen Individuen, die diesen Prozessen größtenteils ohne eigene prozedurale Beteiligungsmöglichkeiten ausgeliefert sind. Diese legitimationsdefizitäre Dynamik transnationaler Institutionenarrangements verlangt, die horizontale Wirkung von Grundrechten nunmehr als System/Umwelt-Konflikte zu denken. Gleichermaßen muss, zweitens, beachtet werden, dass in Ermangelung einer globalen Verfassung des Sportes stattdessen jede richterliche Entscheidung über die praktische Konkordanz von Grundrechten die transnationale Regelungsordnung des Sports von außen schleichend mitkonstitutionalisiert. Diese (Doppel-)Wirkung der Grundrechte im Transnationalen gilt es hinreichend zu würdigen.

2. Zum Sachverhalt

Bei den Mehrkampf-Weltmeisterschaften 2009 in Hamar wurden erhöhte Retikulozytenwerte in den Blutproben der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ermittelt. In Folge dessen kam es im Juli 2009 zu einer zweijährigen Blutdoping-Sperre Pechsteins durch die Disziplinarkommission der International Skating Union (ISU). Im gleichen Zuge wurden die von Pechstein erzielten Ergebnisse bei den Weltmeisterschaften in Hamar annulliert und ihre Punkte, Preise und Medaillen aberkannt. Aufgrund der verhängten Sperre wurde Pechstein auch seitens des deutschen nationalen Fachverbands für Eisschnelllauf (DESG) von Trainingsmaßnahmen ausgeschlossen und ihr Status als Mitglied des Kaders für die Olympischen Winterspiele 2010 ausgesetzt.

Um an den Weltmeisterschaften […]

Von |25.09.2017|Kategorien: Grundrechteblog|

Analyse des Urteils BGH v. 26.11.2015 – Az. I ZR 174/14 – Störerhaftung des Access-Providers

1. Einleitung

Das zur Eröffnung analysierte Urteil des BGH vom 26.11.2015 – Az. I ZR 174/14 (= openJur 2016, 238, Randnummern ohne Kennzeichnung entstammen diesem Urteil ) ist ein Paradebeispiel für die Wirkung von Grundrechten im Privatrecht. Der BGH befasst sich im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung mit den Art. 1, 2, 5, 10, 12 und 14 GG sowie den Art. 7, 8, 11, 16, 17 EU-GRC.

Das Urteil erging anlässlich eines Kölner Falls aus dem Jahre 2010. Mehrere Tonträgerhersteller hatten ein Telekommunikationsunternehmen darauf verklagt, den Zugriff der Internetnutzer auf die Seite „Goldesel.to“ zu verhindern. Dort befänden sich mehrere tausend Links zu Musikstücken im Filesharing-Network „eDonkey“, an denen sie die ausschließlichen Nutzungsrechte innehätten. Gegen den russischen Host-Provider könne man nicht effektiv vorgehen. Somit sei das Telekommunikationsunternehmen als Access-Provider im Rahmen der Störerhaftung verpflichtet, den Zugriff seiner Kunden auf die Website zu verhindern. Sowohl Landgericht (LG Köln, ZUM-RD 2011, 701) als auch Oberlandesgericht Köln (OLG Köln ZUM-RD 2014, 639) haben die Klage abgewiesen. Parallel dazu entschied der BGH am gleichen Tag einen aus Hamburg stammenden Fall (Urt. v. 26.11.2015 – I ZR 3/14 = ZUM-RD 2016, 156), bei dem die Gema Klägerin war. Auch dort gaben Landgericht (LG Hamburg, ZUM-RD 2010, 902) und Oberlandesgericht (OLG Hamburg, ZUM-RD 2016, 183) im Ergebnis der Beklagten Recht.

Der BGH bestätigte letztlich die Rechtsprechung der Vorinstanzen, allerdings mit deutlich anderen Gründen. Zwischen den einzelnen Urteilen, die vom Blickwinkel der meistrezipierten Entscheidung des BGH im Kölner Fall aus analysiert werden sollen, ergeben sich bemerkenswerte Kontraste in der Deutung einzelner Grundrechte. Die Gerichte streiten vehement über Fragen genuin öffentlich-rechtlicher Grundrechtsdogmatik. So offenbart die Gemengelage dieser Urteile, auf welche Weise und mit welchen Folgen Zivilgerichte, insbesondere der BGH grundrechtlich argumentieren.
Begleitet wird die deutsche Grundrechtsdiskussion von einer europarechtlichen Ebene, die über das Instrument der richtilinienkonformen Auslegung auch in die zivilrechtliche Dogmatik hineinwirkt. Diese komplexe Situation wird jedoch dadurch entzerrt, dass es trotz dogmatischer Differenzen um die gleichen Fragen und die Entscheidung der gleichen Interessenkonflikte geht.

Zur grundrechtlichen Argumentation gelangen alle Instanzen über die Störerhaftung. Unbestritten ist in allen Urteilen, dass Access-Provider einen willentlichen und adäquat-kausalen Beitrag zur Verletzung des geschützten Rechts leisten. Dieses Ergebnis […]

Von |14.06.2017|Kategorien: Grundrechteblog|

Zur Eröffnung des Blogs „Grundrechte im Privatrecht“

Ein Blog ist eigentlich selbsterklärend. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Werk bedarf es keiner langen Einführung, in der Diskussionsstände gesichtet, Forschungsvorhaben gerechtfertigt und Untersuchungsschritte aufgezählt werden. Trotzdem nimmt dieses Projekt mit einer kleinen Vorrede seinen Anfang. Obgleich nämlich alle Beiträge einzeln und für sich genommen verständlich sein sollen, folgt dieses Blog einem Gesamtkonzept, dessen Kenntnis es leichter nachvollziehbar macht.

Grundvorhaben dieses Blogs ist es, die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht anhand der Rechtsprechung nachzuvollziehen. Die Kernfragen, welche jeder Beitrag im Speziellen zu beantworten suchen wird, sind daher: Wie binden Gerichte Grundrechte in die Entscheidung privatrechtlicher Fälle ein? Wie ausführlich und auf welche Weise wird mit den Grundrechten argumentiert?

Um Antworten auf diese Fragen gewinnen zu können, sollen kleinere Anmerkungen vordringlich zu Urteilen des Bundesgerichtshofs verfasst werden. Im Rahmen dessen oder womöglich auch autonom wird eine Auseinandersetzung mit der Literatur stattfinden.
Sobald eine gewisse Zahl an Urteilen kommentiert ist, bieten sich Vergleich und Kontrastierung – sozusagen die geisteswissenschaftlichen Standardoperationen – für das weitere Vorgehen an. Durch den Vergleich verschiedener Urteile kann herausgearbeitet werden, worin und warum sie sich in ihrer Bezugnahme auf Grundrechte gleichen oder unterscheiden. Somit fungiert dieses Blog, nah an der Wortherkunft als eine Art Logbuch, als Sammlung und Auswertung privatrechtlicher Entscheidungen, die sich in der Argumentation auf Grundrechte beziehen.

Das (Erkenntnis-)Ziel des Projekts lässt sich ganz zu Beginn nur skizzieren. Was sich hier ergeben könnte und in welche Richtung das Blog sich methodisch wie inhaltlich entwickeln wird, bleibt an dieser Stelle absichtlich offen. Damit ist gewährleistet, dass das Projekt auf Herausforderungen, die sich im Laufe der Zeit ergeben, flexibel reagieren kann. Freilich aber kann man so viel sagen: Das Blog soll Entwicklungslinien aufzeigen und begleiten. Hinsichtlich der Vorgehensweise der Gerichte sollen Regelmäßigkeiten und Abweichungen herausgestellt werden. Ausgegangen werden soll von der Annahme, dass Grundrechte für den Richter in Zivilsachen in der Tat einen Unterschied machen. Sie verlangen eine Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle des Privatrechts dadurch, dass das Fachgericht seine Perspektive erweitert und alle im Fall betroffenen Autonomien in seine Entscheidung einbezieht (zur methodischen Funktion von Grundrechten vgl. Wielsch, AcP 213 [2013], 718). Wie sich das in der Praxis gestaltet, soll durch dieses Blog klarer […]

Von |14.06.2017|Kategorien: Grundrechteblog, Grundrechteblog_Aktuell|
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